Rudolf Nykrin
Ich weiß eine Traumgeschichte, die handelt von einem mächtigen Vulkan und dem schwarzen Riesen Vulkano. Und von Tim, der dem Vulkano entkommen ist. Willst du die Geschichte hören?
Tims Reise zum Vulkan
Tim lag gerne auf dem Bauch, wenn er schlief. Oft schlang er dabei die Arme um sein Kopfkissen. In einem Traum wurde sein Kissen zu einer Rakete, die Tim steuern konnte, wenn er sie mit dem linken oder mit dem rechten Arm drückte. Mit der Rakete stieg Tim hoch in die Luft. Er sah Dörfer und Städte, Berge, Seen, und ganz in der Ferne ein Meer. Da flog er hin. Es war ein großes Meer. Nur Wasser war zu sehen, wohin Tim auch blickte. Als Tim darüber flog, schien es kein Ende zu haben. Doch schließlich tauchte eine Insel auf, und bald sah Tim, dass sie aus einem einzigen, großen Berg bestand. Wie ein schwarzer Koloss ragte er aus dem Wasser, und aus dem Gipfel des Berges stieg Rauch. Denn die Insel war nichts anderes als ein großer Vulkan.
Tim spürte, dass ihn der Vulkan zu sich zog, und als er ihm näher und näher kam, rief er: „Ist hier jemand?“ Lange wartete er auf Antwort. Schon dachte Tim, er sei hier ganz allein. Doch dann stob aus dem rauchenden Schlund des Vulkans eine dunkle Aschenwolke, und ein riesenhafter Kerl reckte sich aus dem Krater: Sein Körper war rußig und schwarz. Seine Haut war mit qualmenden Kohlen bedeckt, und auf seinem Kopf brannte ein Feuer. Wenn er ihn schüttelte, stoben glühende Funken hervor und fielen aufzischend ins Meer.
„Wer bist du?“, rief Tim dem schwarzen Riesen zu, und der rief zurück: „Ich bin Vulkano, der Mann im Vulkan! Seit tausend Jahren hocke ich hier und passe auf, dass das Feuer nicht ausgeht. Und seit tausend Jahren warte ich darauf, dass jemand kommt und mich ablöst.“
„Schau, Vulkano, ich kann fliegen“, rief Tim, „mit meiner Rakete!“ Schnell flog er einmal um die Insel herum.
„Ich will auch fliegen“, rief der Vulkano, „weg von hier! Weg von der Insel! Nur über die Luft komme ich von hier weg, weil mich das Wasser auslöschen würde! Gibst du mir deine Rakete?“
„Was bekomme ich dafür?“, fragte Tim.
„Die Insel“, schlug der Vulkano vor. „Die ganze Insel schenke ich dir, ich habe lange genug hier gewohnt!“
„Was gibt es denn auf deiner Insel?“, fragte Tim weiter. Der Vulkano antwortete: „Feuer, Hitze, und glühend heiße Steine!“
„Ich will deine Insel nicht“, rief Tim. „Nur Feuer und Hitze und Steine, das ist ja nicht zum Aushalten!“
Da merkte der Vulkano, dass Tim nicht auf der Insel bleiben wollte und dass er ihm seine Rakete nicht geben würde. Er würde sie ihm einfach nehmen! Drohend grollte er: „Gib mir sofort die Rakete, oder …“
„Oder was …?“, wollte Tim gerade fragen, doch die Frage blieb ihm im Halse stecken. Denn er sah, wie der Vulkano jetzt noch größer und immer noch größer wurde und wie sein Haarschopf von einem hellroten Feuerbrand aufleuchtete. Die Luft um Tim herum wurde heißer und heißer.
„Ich werde dich und deine Rakete verbrennen!“, brüllte der Vulkan. Er begann, sein Feuerhaupt zu schütteln und schleuderte damit glühende Erzstücke hoch und weit in die Luft, und fast hätte einer Tim getroffen.
Doch Tim drückte seine Rakete mit beiden Armen so fest er nur konnte. Schnell wie der Blitz sauste er weg von der Insel und lenkte die Rakete über das große Meer zurück nach Hause.
Der Vulkano aber zwängte sich voller Wut zurück in seinen Vulkanschlund und ärgerte sich noch weitere tausend Jahre lang, dass er die Insel nicht verlassen konnte. Er schürt weiter das Feuer in dem Vulkan, der nicht erlöschen darf. Darum raucht der Vulkan bis heute. Und wenn sich der Vulkano einmal ganz besonders ärgert, dann spuckt er aus dem Krater Glut und Asche. Aber das tut niemandem weh, weil die Glut ins Meer fällt und schnell erlischt.
***
Als Tim am nächsten Morgen aufwachte, freute er sich über das glückliche Ende seines Traum-Abenteuers. Und wir beide – wir sind morgen früh auch wieder hier. Und vor dem Einschlafen drücken wir uns noch einmal ganz fest.
War die Geschichte vielleicht zu wild? − Dann weiß ich noch ein sanftes Traumgedicht. Auch da drin kommt ein Riese, aber der ist ganz anders. Hör zu:
Mein Freund, der Riese
Manchmal träume ich von einem Freund,
der ist ganz groß, der ist ein Riese.
Der reicht mir seine Riesenhand
und setzt mich auf seine Riesenschulter
und wandert mit Riesenschritten mit mir durch die Nacht.
Er steigt mit mir über Häuser und Kirchen,
er watet mit mir durch Flüsse und Seen,
mit drei Schritten ist er auf einer Bergspitze
und mit einem Riesenschritt am Meer.
Da rauschen die Wellen,
und auf der Schulter von meinem Riesenfreund
schlafe ich ein.
Und im Traum,
da wache ich auch wieder auf!
Jetzt hat mich der Riese in seine Hemdtasche gesteckt.
Da ist es warm, und ich höre sein Riesenherz schlagen:
Rawamm, rawamm, rawamm …
Ganz ruhig schlägt es,
und ich schlafe wieder ein.
Und beim Aufwachen nach meinem Riesentraum,
am Morgen, da bin ich ausgeschlafen wie nie,
und habe eine Riesenkraft!
Alle Rechte beim Autor Rudolf Nykrin. Download zum privaten Gebrauch gerne gestattet.