Was der Musikater alles hört
Rudolf Nykrin
Ich habe feine Ohren! Auf meinen Spaziergängen höre ich das allerleiseste Geräusch − wenn ein Lufthauch mit einem Blatt spielt oder ein kleiner Vogel auf dem Boden pickt. Ich höre auch, wenn ein Regentropfen in eine Pfütze fällt und sogar, wenn ein kleiner Wurm seinen Kopf durch die Erde steckt!
Besonders gerne aber höre ich Musik.
Die ersten Musikanten am Morgen sind die Vögel. Sie singen schon, noch ehe die Sonne aufgegangen ist. Und am Abend singen sie immer noch, bis es dunkel wird und sie ihren Kopf zum Schlafen unter die Flügel stecken. Der schwarze Amserich draußen im Garten kann hundert Melodien singen, und jede klingt anders. Manchmal frage ich ihn, warum er so oft singt. „Warum denn nicht“, flötet er, „es macht mir doch Spaß!“ Oder er pfeift: „Weil die Sonne so schön scheint!“ Oder er zwitschert: „Weil ich zwei dicke Würmer für meine Kinder gefunden habe. Die fressen sie jetzt, und ich habe Zeit zum Singen.“ Ich glaube, der Amserich singt immer, wenn er fröhlich ist.
Wenn ich in unserer Straße spazieren gehe, höre ich noch mehr Musik. In einer Wohnung sind Handwerker bei der Arbeit, die auch Musik mögen. Sie haben sich ein Radio mitgebracht und lassen es den ganzen Tag laufen. Wenn sie ein Stück kennen, pfeifen sie die Melodie mit. Sobald sie mit ihrer Arbeit fertig sind, packen sie ihr Werkzeug ein und auch das Radio. Es ist staubig und dreckig und sogar mit Malerfarbe vollgespritzt, aber das macht nichts, denn die Musik hört man ja trotzdem.
In einer Wohnung wohnt ein Mädchen, ich glaube, sie heißt Julia. Sie ist lieb und kann mich gut streicheln. Heute singt sie leise etwas, und ich schleiche mich näher. Es klingt, als würde sie sich auf etwas ganz Besonderes freuen! „Hmm, hmm“, singt sie vor sich hin, „heute ist ein schöner Tag. Hmm, hmm, heute koche ich mit meiner Mutter Pudding! Und ich darf aussuchen, hmm, hmm, was für ein Pudding es sein soll. Himbeer, oder Vanille, oder Erdbeere, oder Mandel, oder − Schokolade?“ Das Wort Schokolade singt Julia ein paar Mal hintereinander! Bestimmt wird sie mit ihrer Mutter heute noch einen Schokoladenpudding kochen.
In unserer Straße wohnt auch ein Cellist. Sein Beruf ist es, Musik zu machen. Oft geht er mit seinen Cellokasten auf dem Rücken zum Bus und fährt in die Stadt. Vielleicht spielt er im Städtischen Orchester? Wenn er aber zu Hause bleibt, spielt er stundenlang auf seinem Cello und die gleiche Melodie oft hundert Mal hintereinander! Er übt sie immer wieder. Fröhliche Lieder spielt er kaum. Manchmal klingt seine Musik sogar richtig traurig, und dann schaut der Cellist beim Spielen auch sehr ernst drein. Aber wenn er nach hundert Mal Üben mit seinem Spiel zufrieden ist, sieht er wieder fröhlich aus.
Jeden Tag gibt es viel zu sehen und zu hören. Am Abend sich ich mir einen ruhigen Platz und sitze und horche. Julia und ihre Mutter unterhalten sich. Der Schokoladenpudding hat ihnen beiden gut geschmeckt. „Obwohl er angebrannt war“, meint Julia. „Beim nächsten Mal musst du besser umrühren!“, sagt Julias Mutter.
Immer stiller wird es jetzt. Ich höre den Wind, und als es fast dunkel geworden ist, beginnt der Amserich mit seinem Abendlied. Es klingt wunderschön. Die Amselkinder hören auch zu, dann bald wollen sie selbst Amsellieder flöten und pfeifen.
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Der Musikater ist eine Figur, die schon viele Kinder in der Musikalischen Früherziehung nach dem Konzept von Musik und Tanz für Kinder kennengelernt haben. Das Buch Schlaf gut mit dem Musikater enthält viele stimmungsvolle Geschichten, Gedichte und Lieder, und eine schöne CD dazu.